Stiftung Internat Solling, Holzminden Die internationale Bio-Olympiade

„Two lines, please!“ – die 34. Internationale Biologieolympiade in Al Ain, VAE, 02.07.-11.07.23

Es hat zwei Jahre Teilnahme gebraucht, geprägt von per Definition niemals ganz lösbaren Klausuren, deren explizites Ziel ist, zu überfordern, unvergleichbaren Adrenalinpegeln und nächtlichen Lektüren. Aber parallel zum Abi ist es mir tatsächlich gelungen, im vierköpfigen deutschen Nationalteam der IBO zu landen, die dieses Mal von den Vereinigten Arabischen Emiraten veranstaltet wurde.

Damit wir ideal auf den internationalen Wettbewerb vorbereitet waren, fand in der Woche vor Abflug am Max-Planck-Institut in Göttingen zusammen mit dem schweizer Team ein intensives Trainingslager statt. Probeklausuren, Vorträge, Pipettierübungen spätabends im Halbschlaf – unsere Betreuer:innen sorgten dafür, dass wir vor allem unsere praktischen Skills nach der Bundesrunde (deren Klausuren wir eher so…semi verstanden und bearbeitet haben) noch wesentlich steigern konnten.

Nach dem sechsstündigen Flug nachts im lauwarmen Al Ain angekommen, erlebten wir die erste Überraschung, als unser Bus unser einziges männliche Teammitglied vor einem mit Stacheldraht umzäunten Studentenwohnheim absetzte und wir ihn vorerst nicht wiedersahen. Später stellte sich heraus, dass die Organisatoren sich dieses Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der IBO dazu entschieden haben, zu 80% der Zeit konsequente Geschlechtertrennung durchzuziehen. Nach einer Stunde Schlaf ging es zur Eröffnungszeremonie, wo wir Deutschen traditionell von der Bühne aus die ersten Reihen mit „HarIBO“ abwarfen, was in der Regel viele Freunde bringt. Da dieses Jahr ja einiges anders war, gab es zwar viele Freunde, aber vielleicht hat jemand verspätet die Inhaltsstoffe gegoogelt und es gab deshalb für einige von uns im Anschluss kein Abendessen. Es war nämlich zu wenig Zeit für zu wenige zu lange Schlangen hungriger Teilnehmer:innen eingeplant gewesen.

Am nächsten Tag wartete ein Trip nach Abu Dhabi auf uns, mit der Besichtigung einer Moschee und eines Kunstmuseums. Es ist ja schließlich auch allgemeinbildungsfördernd für uns Biologen, mal außerfachliche Kompetenzen zu sammeln. Und dort ging es los: Da die Nationalteams alle nach Geschlecht auseinandergerissen wurden, gab es für die Guides natürlich keine andere Möglichkeit, den Überblick über ca. 280 Schüler:innen zu behalten, als in Dauerschleife „TWO LINES!“ zu brüllen und uns x Mal durchzuzählen. Jener schnell ritualisierte Ausdruck wurde so zu unserer ultimativen Zusammenfassung der Woche. Sollte mir eines Tages irgendwo auf der Erde irgendwann eine Person über den Weg laufen, bei der ich mir nicht sicher bin, ob ich sie von der 34. IBO kenne, werde ich einfach „TWO LINES“ rufen und ich werde es wissen.

Der dritte Tag war der der Praxisklausuren; wichtig genug, um uns alle sanft mit einem Megafon aus unseren Betten zu holen, es sollte der für uns anstrengendste Tag von allen sein. In der Pflanzenmolekularbiologie kamen Gelelektrophorese und eine Zwiebel dran; in der Biochemie führten wir eine Enzymaufreinigung und ein Bradford-Assay durch; in Ökologie und Ethologie wurden wir darauf geprüft, wie schnell wir den Knopf auf einem Zähler drücken konnten, während wir am Computer gebannt auf einige weiß-gräulich flackernde Pixel starrten, die die flatternde Halslappen eines Vogels darstellen sollen (eine Anpassung zur Kühlung bei Hitze); in der Bioinformatik ging es um die akkurate Ausführung der Copy-Pace-Funktion. Zu unserem Vorteil konnten wir durch unsere Erfahrungen im deutschen Auswahlwettbewerb (Verzweiflung pur) und im Trainingslager (Woche der Erleuchtungsmomente) die Klausuren relativ gelassen antreten.

Nach einer kürzeren Nacht fuhren wir dann in den Bussen nach Dubai, um uns das „Museum of the Future“, eine Darstellung Dubais Utopie, anzusehen und uns in der Dubai Mall zu verlaufen. Der Bus fuhr uns noch etwas in der Stadt spazieren, und wer zu der Minderheit gehörte, die die Gelegenheit nicht dazu nutzte, das akkumulierende Schlafdefizit aufzuholen, fand sich endlich mit der Nonexistenz von Fußgängern ab.

Die folgenden zwei Tage der jeweils dreistündigen Theorieklausuren waren weniger gefüllt. Wir Teilnehmer:innen wussten die Pausen aber auszunutzen, in dem wir uns z.B. mit geklautem Megafon von den Guides verschiedensprachige Lieder vorsangen und unsere kulturellen Mitbringsel austauschten. Unsere HarIBOs regneten logischerweise vom Balkon hinunter, ein Schwede verteilte Spielkarten, es gab Kühlschrankmagneten aus Madagaskar und Schlüsselanhänger aus Sri Lanka, japanische, türkische und estnische Süßigkeiten, Lesezeichen und Karamellbonbons aus Argentinien, schweizer Schokolade und Anstecknadeln aus Luxemburg und Bolivien.

Nachdem mit den Klausuren sämtlicher Stress bestanden war, durften wir am vorletzten Tag noch in den Wasserpark – diesmal nicht geschlechtergetrennt und im Team! – aber erst, nachdem wir ein Dokument ausgefüllt hatten, dass den Park von sämtlichen eventuellen Klagen befreien würde, für den Fall, dass eine:r von uns dort sterben sollte. Nach anfänglichem Zögern kamen wir zur Einsicht und haben uns dann gegenseitig beim Unterschreiben geholfen. Zum Glück ist beim Besuch trotzdem niemand von uns an den Treppen mit unterschiedlich hohen Stufen ohne Geländer oder an einem Hitzeschlag gestorben; das gemeinsame Kajakfahren, das Wellenbecken und den sengend heißen Hüpfburg-Parcours konnten wir wirklich genießen. Sogar mit dem dysfunktionalen Tretboot haben wir es in die Mitte des Sees und zurückgeschafft. Die benötigte Zeit für das Vorankommen, wenn man versucht, bei einem Viererboot mit den Händen zu paddeln, war uns aber im Anschluss doch peinlich genug, sodass wir uns beim Guide, der uns am Rand etwas verwirrt empfing, als österreichisches Team vorstellten. (Hätte er nicht aufdecken können – Österreich stellt kein Team.)

Mit der Closing Ceremony, und der anschließenden Afterparty am letzten Tag war die unvergessliche Woche dann auch leider schon vorbei. Trotz teils chaotischer Organisation konnten wir etliche schöne Dinge mitnehmen: Erinnerungen an viele interessante, gleichgesinnte Menschen von überall und anregende Gespräche, eine WhatsApp-Gruppe mit > 200 Mitgliedern und ab und zu immer noch 500 Nachrichten am Tag ([Foto] „Weiß jemand, was das für ein Insekt ist?“; „Kann man die Beeren essen oder sind das die mit psychoaktiver Wirkung?“) und vier sehr gute Medaillen für Deutschland. Im Nachhinein ergab sich dazu auch noch, dass wir dieses Jahr das beste Europäische Team gestellt haben!

Ein großes Dankeschön an alle Betreuenden und Lehrpersonen, die mich dabei unterstützt haben, dass am Ende meiner Schulzeit so etwas möglich war.

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